Anfang 1997 befragte ich verschiedene Firmen der Unterhaltungselektronik, was sie in der Zukunft an Innovationen erwarten. Erstaunlich: Fast alles gibt es heute längst.
Auf der Suche nach dem Kick von morgen.
Vor 40 Jahren war ein simpler Fernseher die Sensation in Deutschlands guter Stube. So
ein furniertes Monstrum, im Look möglichst abgestimmt auf die unvermeidliche
Musiktruhe. Vorne ein simpler Schalter: Ein/Aus.
Programmwahl: Erstes Deutsches Fernsehen. Der Name wies zwar schon auf ein
späteres Zweites, aber in Sicht war es noch nicht. Heinz Mägerlein, Wort zum Sonntag,
Ohnesorg Theater…. kaum sechs Stunden täglich. Mehr hätte man auch nicht ertragen,
auf den lächerlich kleinen Schwarzweiß-Schirmen – der Augen wegen. Diese alten Kisten
strahlten wie ein AKW.
Was hat man damals bloß den ganzen Tag gemacht? Ein privater Telefonanschluß war
exotisch, der Videorecorder nicht mal geboren, das Internet allenfalls angedacht.
Hausmusik war noch das gemeinsame Musizieren mit Vater und Mutter und ein Clip
etwas, womit sich Frauen die Haare hochsteckten.
Heute haben wir 30 Programme, Videospiele, Online-Anschluß, Digital-TV. Doch in den
nächsten 40 Jahren – oder sind es vielleicht nur 10 – wird uns, was heute modern ist,
ebenso archaisch vorkommen, wie die ersten TV-Geräte.
Um die Zukunft ein wenig greifbarer zu machen, haben wir uns umgehört und
zusammengestellt, was bei den großen Medien-Firmen am Horizont der technologischen
Entwicklung heraufdämmert. Halten Sie sich fest. Es ist ein ziemlicher Trip:
AT&T: Robert Kavner, Leiter Multimedia Produkte und Service
Während der kommenden 40 Jahre wird sich die Kommunikationstechnologie
dramatisch verändern. Unsere persönlichen Daten werden auf einer Karte
einprogrammiert sein, die man überall in Terminals einstecken kann. Mit der Karte wird
videofoniert, man weist sich aus und bezahlt, bestellt Filme, entriegelt die Haustür und
dirigiert Fernseher. Hologramme und künstliche Computerwelten (Virtual Reality)
werden einen großen Teil der Unterhaltung ausmachen. Wir können uns entscheiden, ein
Filmstar zu sein oder mit dem Dream-Team ein paar Körbe werfen. Wir sind voll dabei,
haben aber keinen Ball in der Hand, obwohl es sich so anfühlt. Wir machen unseren Wurf
und ein Mitspieler in London springt hoch zum Rebound. Heute hat man den
Datenhandschuh, vielleicht taucht man die Hand in 40 Jahren nur noch in eine Art
Flüssigkeit, um diesen Spaß zu erleben.
Panasonic Technologies: Ronald Richard, Vize-Präsident USA
Hochentwickelte Sprachsteuerung mit vielfältigen Erkennungs- und
Übersetzungsfunktionen wird in den nächsten 25 bis 30 Jahren in viele neue Produkte
eingebaut werden und so Verständigung und globales Miteinander verstärken. Man kann
sich einen italienischen oder japanischen TV-Kanal ansehen und versteht alles, durch
den eingebauten Übersetzungschip.
Sony Electronics: Yuki Nozoe, Chef Entertainment USA
In 40 Jahren werden wir echtes Breitwand-Fernsehen haben. Nicht wie ein Bild, die
Wand selbst wird der Bildschirm sein. Drücke einen Knopf und sie bietet einen
Fernsehschirm. Drücke einen anderen und du guckst hindurch, als wäre die Wand ein
Fenster. Noch ein Druck und da ist wieder die tapezierte Wand, ein Teil unseres
Zuhause.
Lucasfilm Ltd: Tomlinson Holman, Technischer Direktor
Um mit den immer ausgefeilteren Heim-Anlagen konkurrieren zu können, werden die
Filmtheater eine immer aufwendigere Technik bieten. Kinder, Popcorn, Billigfilme – das
läuft zu Hause. Im Kino hat man Service, Kinderbeaufsichtigung, Saft- und Alkohol-Bars
und die absolute state-of-the-Art Filmvorführung. Die Bildschirme werden viel klarer und
präziser sein. Durch die digitale Technik wird man dazu in der Lage sein, bereits
existierendes Material von Spratzern und Tonmängel zu befreien. Ich denke, man wird
mit Flüssigkristallschirmen arbeiten und die Filme werden über Satellit in die Theater
einspielen.
IBM: M. Bernard Puckett, ehemaliger Senior Vize Präsident Firmenstrategie und
Produktentwicklung
In der Zukunft erfreuen wir uns an der erregenden Welt der Interaktivität. Nehmen wir
an, sie wollen ihre Nicht sehen. Sie sagen es ihrem Bildschirm-Modul und sie erscheint in
ihrem Wohnzimmer – dreidimensional. Wir werden zuhause Filmpremiere erleben und im
Film mitspielen. So haben wir am Schluß einen anderen Film als unser Nachbar.
Knight-Ridder Zeitungen: Roger Fidler, Direktor Neue Medien
Gedruckte Zeitungen wird es nicht mehr geben. Die Nachrichten kriegt man auf einem
kreditkartengroßen Memory-Chip gespielt, sieht sie sich auf ultraleichten Magazin-
Tablets an. Das Display wird ebenso klar und kontrastreich sein wie bedrucktes Papier,
aber Möglichkeiten wie Video-Einspielung, animierte Grafik und Ton bieten. Der
Zeitungskiosk der Zukunft ist eine digitale Überspielstation, die mir – auf meinen
persönlichen Zugangscode hin – überall meine aktuelle, individuelle Zeitung auflädt,
natürlich auch über meinem Terminal daheim.
Microsoft: Nathan Myhrvold, Senior Vize Präsident fortgeschrittene Technologie
Die Art Filme zu machen, wird sich total verändern. Schauspieler verleihen ihr Abbild für
Computerfilm-Produktionen. Weil Computerleistung spottbillig ist, wird alles
computerisiert sein von der Glühbirne bis zu Wänden und Fußboden.
Industrial Light and Magic: Jim Morris, Vize Präsident und Geschäftsleitung
Wenn man die Nuancen und Gefühlsregungen von lebendigen Schauspielern sieht, denke
ich nicht, daß Computer sie ersetzen können. Aber es werden alle möglichen und
unmöglichen virtuelle Charaktere machbar- wie die Dinos in Jurassic Park – die mit den
Schauspielern auf dreidimensionalen Sets agieren. Umgebung, Situationen werden im
Computer entstehen.
Thomson Consumer Electronics: Joseph Clayton, geschäftsführender Vize-Präsident,
Marketing und Verkauf
Unterhaltung und Shopping wird rund um die Uhr möglich sein. Das Fernsehen wird zu
einer Art Unterhaltungs-Butler, der uns Dinge anbietet, von denen er meint, es würde
Sie interessieren. Natürlich wird der elektronische Butler auch die Beleuchtung,
Vorhänge, Küche und das Sprinkler-System steuern. Vielleicht wird er noch nicht den
Rasen mähen, aber wer weiß, vielleicht kriegen wir das auch noch hin.
Alles wird sicherlich nicht eintreffen, zumindest nicht genau so. Irrtum ist schließlich der
Zwillingsbruder der Vorhersage. So irrte auch 1967 der amerikanische Zukunftsforscher
Herman Kahn mit seiner Prophezeiung, am Ende des 20ten Jahrhunderts werden fast
alle Anwendungsmöglichkeiten der Holographie verwirklicht sein. Nicht ganz, muß man
heute sagen – aber ein gutes Stück weiter, ist man schon. Denken Sie nur an den
Walkman. Der war vor 20 Jahren noch völlig utopisch und wird heute als Billigprodukt
an jeder Supermarktkasse verramscht. So schnell kann aus morgen gestern werden.
© Volker Kleinophorst 2/97