Manche sind gesandt, andere nur geschickt

13. Oktober 2014 at 14:08

In der Nähe meines Dorfes war in einem ehemaligen Steinbruch ein Kunst und Möbelmarkt, auf dem zwei meiner Freunde, ein Folk-Duo, auftraten.

Schön abseits gelegen im Wald wurden dort im wesentlichen Kunstgegenstände, Steinskuplturen und alte, oder zumindest auf alt getrimmte, Möbel angeboten. Und Kuchen, der sah gut aus.

Aber erst mal Suppe. Für Lauch/Hacksuppe hab ich eine Schwäche und die sah so richtig lecker selbst gemacht aus.

Ich bugsiere die etwas wacklige Plastikschale an einen der Stehtische und nehme den ersten Löffel. Leider bleibt ein Lauchstreifen so am Löffel hängen, dass ich mir das gesamte Kinn einsaue und mich tief über die Plastikschüssel beugen muss. Natürlich geht auch was daneben, auf die Tischplatte.

Ich hole mir mehrere Servietten, säubere erst mich, dann die nähere Umgebung.

Fertig, aber irgendwie steht die wacklige Suppentasse doch etwas zu nah am Rand des Tisches. Bloß nicht noch ein Drama. Ich will sie NUR ein kleines Stück weiter auf die Tischplatte schieben. Aber offenbar verstehe ich nicht genug vom Verhalten von Suppenkräften in beweglichen Schalen. Plötzlich ballen sich die Hack, Lauch und alle Inhaltsstoffe zu einer Art Wasserbombe, die volles Rohr auf mich losgeht.

Spätestens jetzt ist mir sogar die Aufmerksamkeit der Band sicher, die ihr Spiel einstellt und mir mit offenem Mund zuschaut. Die Suppe ist mir allen physikalischen Regeln zum Trotz von oben in die Jacke gelaufen und hat, während sie offenbar im Flug auch noch ihr Volumen verdoppeln konnte, den kompletten Tisch und den Fußboden geflutet. Besonders festlich kamen die Lauchstreifen in der Tannendeko. Ein Terrier leckte den Boden ab.

Immerhin: Den Tisch hab ich nicht umgeschmissen. Der war am Boden fixiert.

Als ich später noch ein Stück Kuchen hole, bekomme ich einen Porzellanteller. Auch der Kaffee, für mich im massiven Pott. Zuhause fand ich noch ein wenig Hack in meiner Hosentasche.

Lebensretter Malai Kofta

16. Juni 2014 at 11:50
Trotz der Entfernung ist das Taj Mahal im Hintergrund gut zu erkennen

Trotz der Entfernung ist das Taj Mahal im Hintergrund gut zu erkennen

1982/83 hab ich das erste Mal eine echte Fernreise angetreten und bin nach Indien und Nepal geflogen. Fliegen musste man schon, weil der bis dahin klassische Überland-Trip über Türkei, Persien, Afghanistan, Pakistan durch den Einmarsch der Russen, wie wir heute wissen, dem was dann folgte, wohl für immer Geschichte ist.

Für mich ne Riesennummer besonders, weil ich mich allein auf dien Weg gemacht habe. Das war eigentlich zuerst nicht meine Wunsch, aber in den beiden Jahren zuvor hatte ich immer mit Freunden was geplant, was sich dann aber immer in scheinbar logische Gründe auflöste, es nicht zu tun.

Das Bild wohl so Ende März 1983 aufgenommen, ziemlich am Ende des Trips im durch das Taj Mahal bekannten Agra, das man ja im Hintergrund erkennen kann. Der Mann neben mir ist der in England aufgewachsene Inder Feisal Ghani, den ich mit seinem deutschen Reisebegleiter im Hotel kennengelernt habe. Feisal war auch das erste Mal in Indien. Da ihn alle für einen Einheimischen hielten, war das manchmal zu komisch.

Wir sind hier in Fatehpur Sikri, ungefähr 40 Kilometer von Agra entfernt und eine der größten Fehlplanungen der damaligen Zeit. Denn als Großmogul Akbar 1571 einzog, stellte man fest, dass es in der Gegend zu wenig Wasser gab. Bereits 1585 zog man erneut um, nach Lahore.

Der Hintergrund warum die Stadt überhaupt gebaut wurde, ist eh etwas seltsam. Trotz seiner zahlreichen Frauen hatte Akbar lange Zeit keine Erben. Als ihm der in Sikri lebende Scheich Selim dennoch drei Söhne prophezeite und das auch eintraf, ließ der Großmogul dem Scheich zu Ehren Fatehpur Sikri bauen.

Auf der Rückfahrt hatten wir noch ein besonderes Erlebnis. Weil ich großen Hunger hatte und ein Restaurant am Wegesrand die überaus leckeren Malai Kofta (Mit indischem Käse gefüllt Gemüsebällchen in einer würzigen Soße) anbot, die es eher selten gab, wollte ich einen Bus später nehmen. Die Feisal und Rolf waren nicht begeistert, ließen sich aber überreden. Als wir mit dem nächsten Bus zurückfuhren, mussten wir feststellen, dass der andere Bus verunglückt war. Es gab mehrere Tote. Schlimme Bilder. Da hat mir mein Appetit vielleicht das Leben gerettet.

 

Der Daruma oder die Feuerprobe

22. September 2013 at 13:24

Der Daruma trat wie so viele Prüfungen in Gestalt eines Geschenks in sein Leben.

In einem japanischen Restaurant, dass mit einem Spezialmenü seinen 20ten Geburtstag feierte, waren beim letzten Sake neben der Rechnung auch noch kleine Figürchen auf dem Tablett.
Eine kleine Aufmerksamkeit. Der Kellner übereichte kleine Schriftrollen, auf denen zu lesen war, der arme, rote Kerl, ohne Augen, Arme und Beine sei der Daruma.

Daruma

Das augenlose Monster

Das mit den Augen kann noch was werden. Denn die können Wünsche erfüllen. Dazu muss man erst ein Auge des Daruma ausmalen, während man sich seinen Wunsch im so stark wie möglich vorstellte.

Denn die Puppe, die da auf ein kleines Kissen geklebt war, ist ein Glücksbringer, ein Stehaufmännchen. Egal zu welcher Seite er kippt, er stehe immer wieder auf. Das wurde zwar in diesem Sonderfall durch das untergeklebte Kissen unterbunden, doch seine mächtigste Eigenschaft geht über das Symbolische hinaus.

Ist der Wunsch dann Wirklichkeit geworden, müsse man das 2te Auge ausmalen und den Daruma rituell verbrennen.

Skeptisch schaute er auf die kleine Nippesfigur. So richtig freundlich kam der Daruma nicht rüber. Geschenkt. Wenn er wirklich zaubern kann.

Als Asienfreund war er eh anfällig für Japan-Nippes aller Art. Und einen Wunsch hatte er auch schon. Eher einen Traum.

Er wollte noch einmal ein großes Reise machen, länger als ein normaler Jahresurlaub. Nochmal richtig raus aus der Mühle. Minimum 2 Monate.

Ziemlich unrealistisch als leitender Angestellter, doch nur 1 Jahr später kriegte er von seinem Arbeitgeber die Genehmigung sich über den Jahreswechsel seinen Traum erfüllen zu können. Hut ab, Daruma.

Leider hatte er vergessen sich zu wünschen, dass die Reise auch schön sein sollte. Und so hatte der Daruma darauf aber auch so gar nicht geachtet.

Er wusste schon, dass die Reise Scheiße wird, als das Taxi auf der Fahrt vom Flughafen in die City von Buenos Aires einen Streuner überfährt. Doch es kam noch besser: Kiefervereiterung, Kündigung, Kreditkartenfehler verhindert abheben von Bargeld vom vollen Konto. Egal wie beeindruckend die Tour durch Argentinien, Chile und Brasilien auch war, er hatte Scheiße am Schuh, was im nächtlichen Überfall in Salvador de Bahia gipfelte und dem frühzeitigen Abbruch der Traumreise.

Gut, die Vereinbarungen mit dem missmutigen Glücksbringer waren nicht richtig durchdacht gewesen, aber aber immerhin war er in einem Stück zu Hause angekommen. Pflichtschuldig wurde daher auch das zweite Auge ausgemalt.

An einem Frühlingsnachmittag sollte das Ritual dann sein Ende finden, der Daruma eingeäschert werden, wie es ihm bestimmt war. Doch das erwies sich als ziemlich schwierig. Obwohl von allen vier Ecken des kleinen Kissens, auf das er geklebt war, kleine Zündschnüre vorstanden, brannte da nix. Das Kissen war so was von feuerfest. Genau wie der Daruma selbst. Hielt man das Feuerzeug dran, kokelte er ein wenig. Brennen war nicht.

Der Nachbar, ein Feuerwehrmann, kommt dazu. Die können nicht nur Löschen. Auch beim Abfackeln sind die Brandbekämpfer ganz groß. Sie nehmen den Daruma, stellen ihn in einen Grill, übergießen ihn mit Spiritus. Der brennt dann auch, endlich.

Aber: Nachdem der Spiritus verbrannt ist, steht er immer noch da, ein bisschen verrußt, was ihn noch böser ausschauen lässt, aber ungebrochen. Der Fachmann schüttelt den Kopf: „Den soll man rituell verbrennen?“

Jetzt wird der Daruma in einen kleinen Scheiterhaufen aus Holzkohle in Spiritus gestellt: Bunsenbrenner an, Feuer frei.

Im Höllenfeuer brennt der Daruma zwar immer noch nicht, aber unter Absonderung von mehr schwarzen, stinkenden Qualm als ein Stapel brennender Reifen, schmilzt er ganz langsam dahin. Wie im ersten Indiana Jones, als den Nazis die Züge entgleisen, als sie die Bundeslade öffnen, zerläuft seine kleine Plastik-Fratze langsam in die Kohle.

Doch er hat noch ein weiters Leben. Unter dem unbrennbaren Plastiküberzug steckt noch ein weißer Keramikkern. Nicht nur so ein rundes Ei, nein, eine schon in den Grundzügen ausgearbeitete Figur mit Nase und Augenbrauen, die immer noch den bösen Blick es kleinen Glücksbringers ausstrahlt.

Der Nachbar geht in den Schuppen, holt einen Knüppel und haut dem Daruma auf den weißglühenden Schädel,  dass er in tausend Teile zerspringt.

„So!“

Ab in die Mülltonne.

Auf Wikipedia konnte er später lesen, dass der Daruma eigentlich aus Pappmache hergestellt wird und unten abgerundet ist, wie ein Ei.  Wer brannte auf dem Gartengrill?

The Times they are A-Changin

25. Juli 2013 at 16:13
Mein Großvater (ganz vorn), 1899 geboren, 2 Weltkrieg überlebt, friedlich im Schlaf gestorben. Hier mit seinen Kollegen.

Mein Großvater Hubert (ganz vorn mit Stock und Pfeife), 1899 geboren, zwei Weltkriege überlebt, friedlich im Schlaf gestorben. Hier mit seinen Kollegen.

Der Vater meiner Mutter – Hubert Krüppel – wurde vor 114 Jahren geboren, am 1.8. 1899. Er war ein einfacher Mann, “Hilfsarbeiter” würde man heute sagen, aber konnte alles, sowohl auf dem Bau, als auch malen, musizieren, schustern, nähen. Nur Kochen war nicht sein Ding. Und erzählen konnte er. Als Kind fand ich nichts schöner als auf seinem Schoß zu sitzen und mir, was Oma “Räuberpistölchen” nannte, anzuhören. Obwohl ein unglaublicher Skatspieler spielte er nie um Geld. Noch mit über 70 konnte er 10 einarmige Klimmzüge. Pfaffen und Politiker hielt er für Verbrecher. Mit 16 fuhr ich das erste Mal allein auf Tramptour nach England. Um mich von ihm zu verabschieden, überredete ich unsere Nachbarin, mich kurz zu ihm zu fahren. Da kletterte ich durch das Stubenfenster, um ihn zu überraschen. Und er hat sich so gefreut. Wir haben uns innig umarmt, er war neugierig, was ich wohl aus England erzählen würde, wo er ja lange als Kriegsgefangener interniert war. Ein dicker Abschiedskuss. Es war unser “letztes Mal”. Als ich 3 Wochen später aus England zurückkam, war er bereits beerdigt. (Für die Nachgeborenen: Es war 1973, es gab noch kein Handy und sonst keine Möglichkeit für meine Eltern mich zu erreichen.) Im Schlaf gestorben, mit 74 Jahren. Für einen Teilnehmer beider “Weltkriege” ein ungewöhnlich sanfter letzter Gang. Unsere letzte Begegnung hat einen Ehrenplatz in meinem Herzen und ich bin immer noch glücklich, dass es sie gab. Am Grab bin ich nur einmal gewesen. Da war er nicht. Er ist in meinem Herzen.

Ein Land, zwei Systeme

4. Juli 2013 at 18:43

Büro, Sommer:

Eine Mitarbeiterin, kurzer Rock, trotz deutlicher Beinbehaarung, betritt den Raum.

Eine Kollegin: „Du, die Beine kann man sich im Sommer auch mal rasieren. Geht ganz einfach!“

„Ach, meinste?“

Sie geht ins Nebenzimmer, fragt genau die Kollegin, die Selbstgedrehte raucht und auch im Sommer nur Hosen trägt:

„Und? Rasierst du dir die Beine?“

„Bin ich ein Schaf?“

Alter Sack

14. Juni 2013 at 12:06

U-Bahn rappelvoll

Ein süßer Teenie (vielleicht 15) versucht den neben ihr sitzenden Jungen (cirka 18) zu becircen.

Plapper, Plapper, Plapper, was macht die, oh haste gesehn, das Lied is so toll, das lieb ich wirklich, oh und der Film, oh süß OHHH…

Ein Fahrgast zum immer geqäulter blickenden Objekt der Begierde: „Na, wenigsten ist SIE süß.“

Er lächelt schief. Sie freut sich: „Oh, das ist aber ein nettes Kompliment.“

Das Abteil gröhlt.

Schweigen. Haltestelle.

Fahrgast steigt aus.

„Hey, ich glaub, der alte Sack hat mich voll verarscht?“

Ich merk schon. Ihr hättet dabei sein müssen.

Königskinder

26. April 2013 at 15:33

Die Meute tobt über die Tanzfläche.

Ein Mann schwatzt mit dem DJ, trinkt Bier.

Seine Frau tanzt vorbei.

„Herrschaftszeiten, seit unserer Hochzeit warte ich jetzt darauf, dass mein Mann mal wieder mit mir tanzt!“

Sie zieht ein Gesicht, er grinst verlegen, führt die Flasche zum Mund.

Der Dj bringt „Spill the Wine“, einen Klassiker des unglaublichen Eric Burdon. Tü Dü Düb Düb Dü… Völlig unerwartet startet er durch, entert plötzlich die Tanzfläche.

Alk, Sound, Laune auf Ideallinie.

Fröhlich swingt er seiner Frau entgegen.

„Komm, lass uns tanzen.“

Sie dreht ab.

„Nö, jetzt will ich nicht.“

Alvin Lee ist tot – I cant keep from crying sometimes

8. März 2013 at 12:52

Seine Gitarre hat meine Ohren entjungfert. Ich war 13 und erste Pickel kündeten vom Ende der Kindheit. Mein Schulfreund Peter hatte mir das Dreieralbum Woodstock – The Original Soundtrack ausgeliehen. Um Langspielplatten zu hören, musste ich erst meiner Schwester ihren Mister Hit abschwatzen. Die rote Plastikkiste mit durchsichtigem Deckel und dem kleinen Lautsprecher in der oberen rechten Ecke war der einzige Plattenspieler der Familie. Ich legte mich auf mein Bett und dann auf der vierten Seite Ten Years After mit I´m going home. So roh, so ein wahnsinniger Drive, entfesselt und doch filigran. Wie sich Gitarre und Stimme von Frontmann Alvin Lee umschmeicheln, wie er den Song mit einem hingetupften Lick verlangsamt, mit einem kantigen Riff abstoppt, um dann mit einen Mini-Solo wieder Tempo aufzunehmen. Hammer.

Alvins rote Peace-Gibson

One for the Money, two for the show – Alvin Lee mit „seiner“ Gibson mit den Peace-Aufklebern

Auf dem Album folgen Alvin Lee und seine Truppe auf Latinorocker Carlos Santana, dessen Stern auch in Woodstock aufging. Für TYA kein Problem. Für mich und viele andere war es das Stück auf dem Album, trotz Who, trotz Hendrix. Mal gucken, was der kleine Lautsprecher im Deckel des Plattenspielers bringt. Keine 5 Minuten Alvin und der „Alte“ steht in der Tür: „Watt is dat denn fürn Gejaule?“ Auch er hatte gemerkt, dass wir auf einem neuen Level angekommen waren. Und das wir da und nicht nur da nicht zusammenkommen würden, zeichnete sich auch schon ab. Also leiser und auf Morgen warten. Woodstock – Der Film hatte ich damals noch nicht gesehen, ich war erst 13.

Drei Jahre später auf einer Studienreise in Berlin war es so weit. Alvin Lee im Splitscreen virtuos, entrückt, der Gitarrengott. Im Kino am Steinplatz lief der Film damals seit 3 Jahren. Ein Jahr später, als ich ihn auch im heimatlichen Duisburg ein paar mal sehen konnte, bin ich sogar wieder rein, einfach weil er da noch immer lief, weil es der geilste Musikfilm aller Zeiten war und wegen Alvin Lee. Zu der Zeit hatte ich mich, sehr zur Freude meines Vaters, vom Milchbubi in Richtung Bürgerschreck entwickelt: Jeans, Boots, Matte und die unvermeidliche US-Army-Kampfjacke mit Einschussloch, dem unverzichtbaren Accessoire der Vietnamkriegsgegner, zeugten von einer klaren politischen Einstellung. Das fühlte sich gut an: Oh baby, babe I’m coming home.
© spritzvieh