Der Daruma trat wie so viele Prüfungen in Gestalt eines Geschenks in sein Leben.
In einem japanischen Restaurant, dass mit einem Spezialmenü seinen 20ten Geburtstag feierte, waren beim letzten Sake neben der Rechnung auch noch kleine Figürchen auf dem Tablett.
Eine kleine Aufmerksamkeit. Der Kellner übereichte kleine Schriftrollen, auf denen zu lesen war, der arme, rote Kerl, ohne Augen, Arme und Beine sei der Daruma.

Das augenlose Monster
Das mit den Augen kann noch was werden. Denn die können Wünsche erfüllen. Dazu muss man erst ein Auge des Daruma ausmalen, während man sich seinen Wunsch im so stark wie möglich vorstellte.
Denn die Puppe, die da auf ein kleines Kissen geklebt war, ist ein Glücksbringer, ein Stehaufmännchen. Egal zu welcher Seite er kippt, er stehe immer wieder auf. Das wurde zwar in diesem Sonderfall durch das untergeklebte Kissen unterbunden, doch seine mächtigste Eigenschaft geht über das Symbolische hinaus.
Ist der Wunsch dann Wirklichkeit geworden, müsse man das 2te Auge ausmalen und den Daruma rituell verbrennen.
Skeptisch schaute er auf die kleine Nippesfigur. So richtig freundlich kam der Daruma nicht rüber. Geschenkt. Wenn er wirklich zaubern kann.
Als Asienfreund war er eh anfällig für Japan-Nippes aller Art. Und einen Wunsch hatte er auch schon. Eher einen Traum.
Er wollte noch einmal ein großes Reise machen, länger als ein normaler Jahresurlaub. Nochmal richtig raus aus der Mühle. Minimum 2 Monate.
Ziemlich unrealistisch als leitender Angestellter, doch nur 1 Jahr später kriegte er von seinem Arbeitgeber die Genehmigung sich über den Jahreswechsel seinen Traum erfüllen zu können. Hut ab, Daruma.
Leider hatte er vergessen sich zu wünschen, dass die Reise auch schön sein sollte. Und so hatte der Daruma darauf aber auch so gar nicht geachtet.
Er wusste schon, dass die Reise Scheiße wird, als das Taxi auf der Fahrt vom Flughafen in die City von Buenos Aires einen Streuner überfährt. Doch es kam noch besser: Kiefervereiterung, Kündigung, Kreditkartenfehler verhindert abheben von Bargeld vom vollen Konto. Egal wie beeindruckend die Tour durch Argentinien, Chile und Brasilien auch war, er hatte Scheiße am Schuh, was im nächtlichen Überfall in Salvador de Bahia gipfelte und dem frühzeitigen Abbruch der Traumreise.
Gut, die Vereinbarungen mit dem missmutigen Glücksbringer waren nicht richtig durchdacht gewesen, aber aber immerhin war er in einem Stück zu Hause angekommen. Pflichtschuldig wurde daher auch das zweite Auge ausgemalt.
An einem Frühlingsnachmittag sollte das Ritual dann sein Ende finden, der Daruma eingeäschert werden, wie es ihm bestimmt war. Doch das erwies sich als ziemlich schwierig. Obwohl von allen vier Ecken des kleinen Kissens, auf das er geklebt war, kleine Zündschnüre vorstanden, brannte da nix. Das Kissen war so was von feuerfest. Genau wie der Daruma selbst. Hielt man das Feuerzeug dran, kokelte er ein wenig. Brennen war nicht.
Der Nachbar, ein Feuerwehrmann, kommt dazu. Die können nicht nur Löschen. Auch beim Abfackeln sind die Brandbekämpfer ganz groß. Sie nehmen den Daruma, stellen ihn in einen Grill, übergießen ihn mit Spiritus. Der brennt dann auch, endlich.
Aber: Nachdem der Spiritus verbrannt ist, steht er immer noch da, ein bisschen verrußt, was ihn noch böser ausschauen lässt, aber ungebrochen. Der Fachmann schüttelt den Kopf: „Den soll man rituell verbrennen?“
Jetzt wird der Daruma in einen kleinen Scheiterhaufen aus Holzkohle in Spiritus gestellt: Bunsenbrenner an, Feuer frei.
Im Höllenfeuer brennt der Daruma zwar immer noch nicht, aber unter Absonderung von mehr schwarzen, stinkenden Qualm als ein Stapel brennender Reifen, schmilzt er ganz langsam dahin. Wie im ersten Indiana Jones, als den Nazis die Züge entgleisen, als sie die Bundeslade öffnen, zerläuft seine kleine Plastik-Fratze langsam in die Kohle.
Doch er hat noch ein weiters Leben. Unter dem unbrennbaren Plastiküberzug steckt noch ein weißer Keramikkern. Nicht nur so ein rundes Ei, nein, eine schon in den Grundzügen ausgearbeitete Figur mit Nase und Augenbrauen, die immer noch den bösen Blick es kleinen Glücksbringers ausstrahlt.
Der Nachbar geht in den Schuppen, holt einen Knüppel und haut dem Daruma auf den weißglühenden Schädel, dass er in tausend Teile zerspringt.
„So!“
Ab in die Mülltonne.
Auf Wikipedia konnte er später lesen, dass der Daruma eigentlich aus Pappmache hergestellt wird und unten abgerundet ist, wie ein Ei. Wer brannte auf dem Gartengrill?