
Alles Rassisten in Miami?
Sind wir alle kleine Rassisten? Einfach, weil es in uns steckt und man so was nicht abstreifen kann, nur weil es die political Correctness erfordert.
Tom Wolfe beschreibt in „Back to Blood“ ein Miami, nicht als Schmelztiegel, sondern als Perlenkette aus Parallelgesellschaften, die einander bestenfalls mit Misstrauen begegnen, oft auch mit blankem Hass. Jeder gegen jeden und Gott gegen alle, quer durch sämtliche ethnischen, sozialen, kriminellen Milieus. Dafür musste Wolfe Prügel einstecken, er habe sein Gespür verloren und würde ein verzerrtes, klischeebeladenes Bild des Amerika von heute zeichnen. Ich hab das Buch in 3 Tagen verschlungen und kann durchaus verstehen, dass man sich an der Zeichnung der Figuren stößt und mit der Sprache, die Wolfe pflegt, fremdelt. Doch seine Szenen sind – wie gewohnt – präzise und detailliert, Überzeichnung ist eines seiner liebsten Stilmittel. Wer sagt eigentlich, dass Klischees nicht auch wahrhaftig sein können? Die Art wie der mittlerweile 82jährie allen wichtigen Figuren mit ihrem inneren Monolog eine zusätzliche Dimension gibt, ist großartig, spannend, nachvollziehbar. Walk a mile in my mind. Ein Klischee kommt jedenfalls nicht vor: Das des strahlenden Gewinners, des all-American Posterboys.
Gewinner, gibt´s die nicht mehr?
Wie man es nimmt.
Da ist Nestor, Exil-Kubaner und Polizist, der mal Held, mal Geächteter ist, aber letztlich immer Spielball der komplizierten Dynamiken von Macht, Medien, Mehrheiten und Minderheiten. Der auf die teigigen, fetten Anglo-Kollegen runterguckt, Ihnen aber doch in den Arsch kriechen muss.
Nestors Ex-Freundin Magdalena, die mit ihrem makellosen Körper und den richtigen Männern ihre kubanischen Wurzeln kappen möchte, sich aber in der Welt, zu der sie gerne gehören möchte, nicht zurecht findet und sie als laut und vulgär erlebt.
Der schwarze Polizeichef, der merkt, dass zu viel Rückgrat beim kubanischen Bürgermeister, die Karriere ganz schön ins schlingern bringen kann.
Die haitianische Professorentochter, die so weiß ist, dass sie sich als Französin ausgeben kann und ihr Bruder, der in seiner Schule nur überleben kann, wenn er auf schwarzer Zuhälter macht und Kreolen-Slang spricht.
Der mächtige Anglo-Milliardär, der in Sekunden Millionen für pornografische Kunst raushaut und keine Sekunde die Finger von seiner Nudel lassen kann.
Der mediengeile Anglo-Sexualtherapeut, der über diesen Milliardär Zugang zu den oberen Zehntausend sucht und sich Magdalena als Freundin hält.
Ein furchteinflößender Oligarch (Gibt es auch nicht-russische Oligarchen?), der Magdalena verängstigt und erregt, darf auch nicht fehlen, genau so wie ein trunksüchtiger russischer Künstler.
Und jede Menge Anglos, Latinos, Afros, Russen, und, und, und.
In Wolfes Miami prallen die Blutlinien des amerikanischen Traums aufeinander. Es besteht aus Nationalitäten, Rassen und ethnische Gruppen. Die Stammeszugehörigkeit, das Blut, verschafft Jobs, Wohnungen und Respekt. Auf dieser Basis werden Freundschaften geschlossen und bleiben Feindschaft besiegelt. Multikulti heißt hier den Tag überstehen in einer Welt voller Fallstricke. Übrig bleibt Geld, Sex und die unbehagliche Angst, dass der Ast bricht, der einen trägt.
Die Welt ist ein Hurenhaus, in dem nur die Gerissenen und Verschlagenen überleben. Und selbst die haben manchmal einen schlechten Tag.
Gewinner?