The Times they are A-Changin

25. Juli 2013 at 16:13
Mein Großvater (ganz vorn), 1899 geboren, 2 Weltkrieg überlebt, friedlich im Schlaf gestorben. Hier mit seinen Kollegen.

Mein Großvater Hubert (ganz vorn mit Stock und Pfeife), 1899 geboren, zwei Weltkriege überlebt, friedlich im Schlaf gestorben. Hier mit seinen Kollegen.

Der Vater meiner Mutter – Hubert Krüppel – wurde vor 114 Jahren geboren, am 1.8. 1899. Er war ein einfacher Mann, “Hilfsarbeiter” würde man heute sagen, aber konnte alles, sowohl auf dem Bau, als auch malen, musizieren, schustern, nähen. Nur Kochen war nicht sein Ding. Und erzählen konnte er. Als Kind fand ich nichts schöner als auf seinem Schoß zu sitzen und mir, was Oma “Räuberpistölchen” nannte, anzuhören. Obwohl ein unglaublicher Skatspieler spielte er nie um Geld. Noch mit über 70 konnte er 10 einarmige Klimmzüge. Pfaffen und Politiker hielt er für Verbrecher. Mit 16 fuhr ich das erste Mal allein auf Tramptour nach England. Um mich von ihm zu verabschieden, überredete ich unsere Nachbarin, mich kurz zu ihm zu fahren. Da kletterte ich durch das Stubenfenster, um ihn zu überraschen. Und er hat sich so gefreut. Wir haben uns innig umarmt, er war neugierig, was ich wohl aus England erzählen würde, wo er ja lange als Kriegsgefangener interniert war. Ein dicker Abschiedskuss. Es war unser “letztes Mal”. Als ich 3 Wochen später aus England zurückkam, war er bereits beerdigt. (Für die Nachgeborenen: Es war 1973, es gab noch kein Handy und sonst keine Möglichkeit für meine Eltern mich zu erreichen.) Im Schlaf gestorben, mit 74 Jahren. Für einen Teilnehmer beider “Weltkriege” ein ungewöhnlich sanfter letzter Gang. Unsere letzte Begegnung hat einen Ehrenplatz in meinem Herzen und ich bin immer noch glücklich, dass es sie gab. Am Grab bin ich nur einmal gewesen. Da war er nicht. Er ist in meinem Herzen.

Lieblingsbild: Wenzendorfer Winter

20. März 2013 at 01:25

Ton in Ton

Winterlong Wenzendorf 2013

Winterlong Wenzendorf 2013

Lieblingsbild: Indien

19. März 2013 at 20:57

Corporate Identity

Super Egg Center, Kerala, Indien 1987

Super Egg Center, Kerala, Indien 1987

Urlaub – ohne Gewehr

19. März 2013 at 20:13

1966, Holland-Ausflug mit den Großeltern ist geplant

Sohn: „Wann fahren wir denn?“

Vater: „In zwei Wochen. Opa wartet noch auf seinen Ausweis.“

Sohn: Wieso muss Opa denn einen Ausweis beantragen?

Vater: „Er hatte noch keinen. Den braucht man ja nur, wenn man ins Ausland fährt. Du hast ja auch deinen Kinderausweis.“

Sohn: „Ja, aber Opa war doch schon im Ausland.“

Vater stutzt, lacht: „Das war im Krieg. Wenn man mit dem Gewehr vorm Schlagbaum steht, zeigt man keinen Ausweis vor.“

Soldatenschicksal

16. März 2013 at 18:37

Es klingelt. Vor der Türe steht ein Mann etwas älter als mein Vater, grüner Armee-Mantel, von Wind und Leben gegerbte Züge, die Haare zerzaust, ein bisschen wie das was man damals Landstreicher nennt, nur nicht so lebensfroh wie von Heinz Rühmann gespielt. „Guten Tag, ist…“. Die Mutter eilt aus der Küche herbei. „Guten Tag, junge Frau, ich bin nach Krieg aus der Bahn geworfen worden. Können sie mir…“ „Aber kein Geld, ich kann Ihnen was zu essen machen.“ „Danke, gerne.“ Die Mutter schließt die Tür, schmiert Butterbrote, holt eine Tafel Schokolade aus dem „Leckerzeugschrank“ im Wohnzimmer. Sie öffnet den Kühlschrank und schaut auf die Bierflaschen. Nach einem Moment packt sie zwei dazu, geht an den Küchenschrank und holt 5 Mark aus ihrer Geldbörse. „Bleib mal hier.“ Sie geht zur Türe, gibt dem Mann einen Beutel mit den Sachen. Der Mann bedankt sich. Ein kurzes Gespräch. „Mutti, was ist mit dem Mann.“ Sie setzt sich: „Du musst vorsichtig sein, du kannst nicht einfach die Tür auf machen, wenn ein Fremder klingelt.“ „War das ein böser Mann?“ Mit traurigen Augen schaut sie mich an: „Nein, das war kein böser Mann, das war ein Soldat.“ „Aus dem Krieg?“ Dass es einen solchen gegeben hatte, konnte man auch als Kind kaum übermerken. Wenn die Männer getrunken hatten, war das schnell Thema. Auch wenn die Frauen das gerne unterbunden hätten. Beides: das Trinken und die Auseinandersetzung mit dem Krieg. Aber damals hatten Frauen noch nicht viel zu melden. „Ja, aus dem Krieg. Du, der Krieg war was ganz Schreckliches und die Soldaten haben für uns gekämpft.“ Sie sieht traurig aus. „Die Männer haben schlimme Sachen erlebt. Da musst du vorsichtig sein.“ „Aber die Männer haben für uns gekämpft?“ „Das ist lange her. Der Krieg ist vorbei.“ Krieg ist nie vorbei.

Alvin Lee ist tot – I cant keep from crying sometimes

8. März 2013 at 12:52

Seine Gitarre hat meine Ohren entjungfert. Ich war 13 und erste Pickel kündeten vom Ende der Kindheit. Mein Schulfreund Peter hatte mir das Dreieralbum Woodstock – The Original Soundtrack ausgeliehen. Um Langspielplatten zu hören, musste ich erst meiner Schwester ihren Mister Hit abschwatzen. Die rote Plastikkiste mit durchsichtigem Deckel und dem kleinen Lautsprecher in der oberen rechten Ecke war der einzige Plattenspieler der Familie. Ich legte mich auf mein Bett und dann auf der vierten Seite Ten Years After mit I´m going home. So roh, so ein wahnsinniger Drive, entfesselt und doch filigran. Wie sich Gitarre und Stimme von Frontmann Alvin Lee umschmeicheln, wie er den Song mit einem hingetupften Lick verlangsamt, mit einem kantigen Riff abstoppt, um dann mit einen Mini-Solo wieder Tempo aufzunehmen. Hammer.

Alvins rote Peace-Gibson

One for the Money, two for the show – Alvin Lee mit „seiner“ Gibson mit den Peace-Aufklebern

Auf dem Album folgen Alvin Lee und seine Truppe auf Latinorocker Carlos Santana, dessen Stern auch in Woodstock aufging. Für TYA kein Problem. Für mich und viele andere war es das Stück auf dem Album, trotz Who, trotz Hendrix. Mal gucken, was der kleine Lautsprecher im Deckel des Plattenspielers bringt. Keine 5 Minuten Alvin und der „Alte“ steht in der Tür: „Watt is dat denn fürn Gejaule?“ Auch er hatte gemerkt, dass wir auf einem neuen Level angekommen waren. Und das wir da und nicht nur da nicht zusammenkommen würden, zeichnete sich auch schon ab. Also leiser und auf Morgen warten. Woodstock – Der Film hatte ich damals noch nicht gesehen, ich war erst 13.

Drei Jahre später auf einer Studienreise in Berlin war es so weit. Alvin Lee im Splitscreen virtuos, entrückt, der Gitarrengott. Im Kino am Steinplatz lief der Film damals seit 3 Jahren. Ein Jahr später, als ich ihn auch im heimatlichen Duisburg ein paar mal sehen konnte, bin ich sogar wieder rein, einfach weil er da noch immer lief, weil es der geilste Musikfilm aller Zeiten war und wegen Alvin Lee. Zu der Zeit hatte ich mich, sehr zur Freude meines Vaters, vom Milchbubi in Richtung Bürgerschreck entwickelt: Jeans, Boots, Matte und die unvermeidliche US-Army-Kampfjacke mit Einschussloch, dem unverzichtbaren Accessoire der Vietnamkriegsgegner, zeugten von einer klaren politischen Einstellung. Das fühlte sich gut an: Oh baby, babe I’m coming home.
© spritzvieh